
6. Juni 2025
Frauenpower im Teenager-Klassenzimmer:
Neue Chancen für Teenager-Mädchen der Roma-Gemeinschaft

Petalouda – Ein Zentrum der Nächstenliebe
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter helfen den Eltern bei bürokratischen Hürden und fördern mit Geduld und Respekt das Selbstvertrauen und das Verständnis für Regeln und Grenzen im Zusammenleben.
wortundtat sprach mit den beiden jungen Frauen über ihre Arbeit mit der Roma-Gemeinschaft. Anna hat griechische Literatur und Sonderpädagogik studiert. Sie stammt aus Griechenland und unterstützt seit drei Jahren die Kinder und Jugendlichen bei ihren schulischen Lernlücken. Laura stammt ursprünglich aus Albanien, lebt in Griechenland und hat Theologie studiert. Seit zwei Jahren arbeitet sie im Projekt und leitet hauptsächlich Bibelstunden sowie Diskussionen mit den Teenager-Mädchen.
Die beiden bieten den Teenager-Mädchen aus der Roma-Gemeinschaft die Möglichkeit, über ihre Themen zu sprechen. Das „Teenager-Klassenzimmer“, eine informelle Bezeichnung für ein offenes Gesprächsangebot, findet dreimal in der Woche statt. Teenager-Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren kommen mit ihren Fragen und finden Gehör. Viele dieser Mädchen sind in diesem Alter bereits verlobt. Manche sind schon verheiratet und haben Kinder.


Wie sieht die Lebensrealität der Mädchen in der Roma-Siedlung aus?
Ihr Leben ist stark geprägt von der Verantwortung für die Familie. In frühen Jahren sind sie häufig bereits stark im Haushalt und bei der Betreuung von jüngeren Geschwistern oder Kindern von Verwandten eingespannt. Dadurch bleibt ihnen jedoch wenig Zeit für schulische Bildung oder individuelle Freizeitgestaltung.

Welche Folgen hat diese Situation auf das Leben der Mädchen?
Die Mädchen gehen oft nicht zur Schule und erhalten keine weiterführende Bildung. Das schränkt ihre Zukunftsperspektiven stark ein. In ihrer Gemeinschaft ist es üblich, früh zu heiraten. Andere Wege für die jungen Frauen haben viele Familien gar nicht auf dem Schirm.

Was lernen die Mädchen in Petalouda und welche Zukunftsperspektiven eröffnet ihnen das Angebot?
Petalouda bietet den Kindern, insbesondere den Mädchen, einen sicheren Raum, in dem sie lernen, ihre schulischen Fähigkeiten zu verbessern und ihre sozialen Kompetenzen zu entwickeln. Sie lernen bei uns Lesen, Schreiben und Rechnen. So kommen sie besser in der Schule zurecht und haben die Chance auf einen Schulabschluss.
Und sie lernen auch, Meinung jenseits dessen wahrzunehmen und sich zu eigen zu machen, das sich im für sie bekannten Horizont abspielt. Viele Mädchen sehen zum Beispiel zum ersten Mal, dass es für sie eine andere Zukunft außerhalb der frühen Ehe geben kann.


Eines der Mädchen, Maria, ist diesen Sommer sogar in ein Ferien-Camp mitgefahren. Wie hat sich das auf sie ausgewirkt?
Wir haben uns sehr gefreut, dass Marias Eltern ihr erlaubt haben, mit uns für ein paar Tage nach Athen zu fahren. Maria ist richtig aufgeblüht. Sie hat sich mit einem syrischen Mädchen angefreundet. Ihre erste Freundschaft außerhalb der Roma-Gemeinschaft. Sie spielte den ganzen Tag und konnte einfach nur Kind sein, ganz ohne familiäre Verpflichtungen. Und sie sah, dass es Alternativen für sie und ihr Leben gibt.

Mit welchen Themen kommen die meisten Mädchen zu euch?
Viele Mädchen berichten uns davon, dass sie die Verantwortung im Haushalt, die arrangierten Ehen und die begrenzten Zukunftsaussichten als Belastung empfinden.

Bietet ihr auch bestimmte Themen an?
Ja, wir bieten Themen wie emotionale Bildung, Mathematik, Literatur und Umweltkunde an. Wir lesen auch gemeinsam in der Bibel, sprechen über soziale Kompetenzen oder wie man seine Gefühle wahrnimmt, ausdrückt und Grenzen setzt.


Wird dieses Angebot von den Familien der Mädchen und ihren Männern akzeptiert?
Es kommt darauf an. Einige Eltern sind sehr offen, wie bei Maria. Andere Familien haben Angst, ihre Töchter zu öffentlichen Schulen oder sozialen Angeboten zu schicken, weil sie die aus ihrer Sicht sicheren und wertvollen Traditionen der Roma-Gemeinschaft bewahren möchten.
Es geht uns auch nicht darum, den Mädchen zu sagen, welchen Weg sie gehen sollen. Wir möchten lediglich ihre Wahrnehmung für die Vielfalt schulen, die das Leben bietet.

Konntet ihr schon eine Entwicklung bei den Mädchen feststellen?
Ja, definitiv. Die Zahl der Schulabschlüsse in der Roma-Gemeinschaft ist enorm gestiegen, seitdem es Petalouda gibt. Und die Akzeptanz bei den Familien, ihre Kinder zur Schule zu schicken, auch.
Die Aussicht auf eine feste Arbeit nach der Schule stimmt immer mehr Familien positiv unseren Angeboten gegenüber. Und die Mädchen werden selbstbewusster und beginnen, an sich und ihre Stärken zu glauben.

Was ist eure Motivation hinter eurer Arbeit hier in Petalouda?
Anna: Ich sehe die vielen Fähigkeiten und Talente der Mädchen, die ihnen oft nicht bewusst sind. Ich helfe ihnen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und zu erkennen, dass sie mehr erreichen können, als ihnen ihre Gemeinschaft vorgibt.
Laura: Ich helfe den Mädchen, den Mut zu entwickeln, sich von den Erwartungen der Gemeinschaft zu lösen und ihre eigenen Träume zu verfolgen. Ich ermutige sie, Grenzen zu setzen, nein zu sagen und sich eine eigene Zukunft aufzubauen.
Maria entdeckt ihr Leben
Maria ist zwölf Jahre alt. Seit sie acht Jahre alt ist, ist sie in einer arrangierten Ehe verlobt. Sie trägt viel Verantwortung im Haushalt und hilft bei der Pflege ihrer jüngeren Verwandten.
Als Maria das erste Mal ins Petalouda-Zentrum kam, hatte sie große Lernschwierigkeiten. Sie konnte weder lesen noch schreiben und war in ihrer schulischen Entwicklung weit hinter ihren Altersgenossinnen zurück.

Heute ist sie in der Lage, kleine Sätze zu bilden und hat sich auch in Mathematik verbessert. Darüber hinaus hat sich ihr Denken verändert: Während sie früher ihre arrangierte Verlobung ungefragt akzeptierte, hat sie nun begonnen, alternative Lebensentwürfe überhaupt erst einmal wahrzunehmen und darüber nachzudenken.
Besonders durch die Gespräche mit Anna und Laura und die Teilnahme an einem Feriencamp hat Maria gemerkt, dass es Alternativen zu dem Leben gibt, das für sie vorgezeichnet ist. Sie hat gelernt, ihre Gefühle auszudrücken, ihre eigene Meinung zu entwickeln und sich vorzustellen, dass es einen anderen Lebensweg geben könnte als den, den ihre Familie bisher für sie vorgesehen hat.
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